Es ist Freitag Abend. Ich befinde mich in meinem Elternhaus in Lübeck in meinem Jugendzimmer. Im alten Zimmer meines Bruders nebenan steht mein Fahrrad; mein Grizl, welches mir jetzt schon über 4000km die Treue hält und bis auf ein paar wenige Spirenzien ziemlich gut aushält, was ich so mit ihm veranstalte. Okay… die verschlissene Kurbelgarnitur und die gefühlt dreihundertfünfundachtzig Plattfüße lassen wir dabei mal außer acht. Und ist mir letztens der Schaltzug bei einer Ausfahrt eeeeeventuell gerissen? Ja auch das. Aber hey… die Mühle hat mir so viele Kilometer und Stunden voller Freude gebracht und mich schon an so einige Orte gebracht, an denen ich vorher noch nie war. Was sind da also so ein paar kleine Aussetzer. Riiischti… verschwindend gering. Außerdem hat ja auch Niemand gesagt, dass Fahrradfahren mit einer einfachen Einmalpauschale bezahlt wäre. Schweiß, Blut, Tränen und Geld sowie ein gesundes Maß an Selbstüberschätzung braucht es. Dosiert man hier richtig, bringt einem dieses Hobby ähnlich viel Dopamin, wie das erste Mal Händchenhalten mit dem Schwarm aus der Jugendzeit (Bravo Vokabular: CHECK!)
Doch nun zurück an den Anfang! Ich möchte heute über eine Ausfahrt auf Etappe 6 des Hackenpedder 2024 berichten. Ein bisschen schließt sich hier auch ein Kreis für mich. Schließlich waren die ersten Beiträge in diesem Blog zum Hackenpedder 2023. Damals bin ich diese Etappe natürlich auch schon gefahren und war daher voller Vorfreude auf eine Wiederholung.

Diesmal starte ich allerdings am damaligen Endpunkt in Lauenburg. Wem das jetzt zu hoch ist: Fahrtrichtung Hackenpedder 2023 im Uhrzeigersinn, 2024 entgegengesetzt. Ein Fuchs, dieser Nils! An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass Nils derjenige ist, dem wir den Hackenpedder zu verdanken haben. Und damit das Ding keine stumpfe Wiederholung von 2023 wird, hat er sich neben einer Richtungsänderung noch ein paar weitere Anpassungen ausgedacht. So auch auf dieser Etappe.
„Auf nach Lauenburg!“ hieß es dann also. Treffpunkt Landspitze, Elbe, Dreiländereck, Abfahrt um 10 Uhr. Also ab in den nächsten RE. Drin sitz bereits eine Meute aus sieben Frauen und Männern, die sich zum Einen durch ihre Klamottenwahl und zum Anderen durch ihre Gesprächsthemen als Fahrrad Enthusiasten outen. Ich nehme einfach mal an, dass es sich um Teilnehmer der Ausfahrt handelt und setze mich nach Absetzen des obligatorischen „Moiiiiiin“ in den nächsten freien Vierer. Mir gegenüber ein Rentner Ehepaar mit neugierigen Blicken. Ich erkläre kurz, was wir vor haben und warum der Weg von Lauenburg nach Lübeck am Elbe Lübeck Kanal entlang für uns eher weniger Reiz bietet. „Heute wird es etwas wilder!“ sage ich noch und merke, wie sich ein tiefes Gähnen seinen Weg aus meinem Körper bahnt. Klassicher Fall von Selbstironie.
Angekommen in Lauenburg rotten wir uns mit ein paar am Bahnhof wartenden anderen Radler*innen zusammen und klicken ein. Im direkten Anschluss verfahren wir uns das erste Mal. Fängt ja gut an. Zum Glück fällt der Fehler schon nach knapp 200m auf.
Fast Forward, es ist kurz vor 10 Uhr. Der letzte Teilnehmer mit dem wahrscheinlich weitesten Anreiseweg trifft ein. Kopenhagen stand auf seinen Anmeldedaten, außerdem unterstreicht der Mann seine Herkunft damit, dass er wahlweise perfekt dänisch und/oder englisch spricht.
Wir starten nach kurzer Instruktion von Nils und finden uns in Zweiereihen zusammen. Die 30km/h Marke knacken wir easy, der Rückenwind tut sein Übriges und schiebt uns über den Elbdeich. Laune bestens. Ich erinnere mich an ein paar Stellen aus dem letzten Jahr. Diese eine markante Überquerung des kleinen Flusses ist mir im Kopf geblieben und die Lochplattenwege auch und… achja… da war ja was: Diese krasse Achterbahn über Lochplatten durch den Wald direkt parallel zur Bundesstraße. Herz und Lunge pumpen das erste Mal merklich. Offenbar hat sich meine Kondition heute gedacht nochmal ein wenig auf Sparflamme zu bleiben. Ich schiebe diesen Umstand auf meine Müdigkeit und die nicht ganz auskurierte Erkältung. Sind ja noch n paar Tage bis Juni. Das renkt sich noch ein.
Und somit finden wir uns unmittelbar nach der ersten Probe aufs Exempel am Checkpoint Harry wieder und machen erstmal ein kurzes Verschnaufpäuschen.



Als nächstes eine lange Apshaltabfahrt ins beschauliche Boizenburg. Gewicht zieht. Das mit der Aerodynamik heb ich mir fürs nächste Leben auf.
Und auch das nächste Highlight lässt nicht lange auf sich warten. Unsere Route führt uns entlang einer Binnendüne über sandige Weg bis hin zu einem Teil der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Merkwürdig, wie friedlich dieser freigeholzte Streifen Land zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern heute anmutet, denkt man daran, was hier vor gar nicht all zu langer Zeit noch passiert ist. An einen besonderen Fall erinnert hier das Mahnmal um Michael Gartenschläger, der hier in einen Hinterhalt gelockt und mit 120 Schüssen hingerichtet wurde. Bei Weitem nicht der einzige Fall, der dieser Grenze den Beinamen „Todesstreifen“ gegeben hat.


Wir halten kurz inne, erkunden diesen Ort. Und trotz aller Ehrfurcht vor diesem geschichtsträchtigen Ort kitzeln die Neuronen schon wieder am Nervenstrang Richtung Oberschenkel. Die Keulen wollen in Bewegung versetzt werden!
Zarrentin und der örtliche See locken mit Pommes und Eis. Wir strampeln weiter, durchqueren immer wieder kleine Wälder und ziehen unsere Furchen durch matschige Wege. Vorbei an einer umzäunten Weide haben wir unseren ganz persönlichen Fury Moment, als eine Herde Pferde ihre Fresspause dazu nutzt neben uns herzulaufen. Inspiriert davon fühle ich mich kurz mal wild und frei und trete beflügelt direkt ein paar Watt mehr! Einfach Episch dieser Moment. Kriegste nur in der Natur sowas. Echt mal!
Okay. Zarrentin. Hab ich eben schon gesagt und jetzt sind wir da. Wir machen den Italiener am See als Treffpunkt aus und decken uns individuell mit Proviant ein. Schon während der Pause verspricht uns Nils eine weitere Pause in ein paar Kilometern. Von einer schönen Badestelle ist die Rede. Mir war ja irgendwie klar, dass wir aufgrund des vorherrschenden Sonnenscheins mehr nackte Haut in kurzen Bibshorts und Trikots sehen würden. Allerdings ist das hier ein Spoiler für das, was uns dann wenig später erwartete: Mehr nackte Haut!
Die Badestelle am Dutzower See ist zwar groß aber nur durch eine kleine Einfahrt zwischen den Büschen zu erreichen. Leicht übersehbar, befindet man sich gerade im Ballermodus und will Strecke machen. Dabei gibt es gerade beim Hackenpedder so unfassbar viel zu entdecken, dass es sich wirklich lohnt den Blick für solche Orte zu schärfen. Und so finden wir uns am Seeufer wieder. Vorher eröffneter Spoiler eröffnet sich hier in Form spontaner Badeeinlagen. Ein bisschen neidisch schaue ich mir das Treiben an und will eigentlich auch, fühle mich allerdings gerade viel zu müde und nutze die Zeit lieber für ein kleines Nickerchen in der Sonne.



Und wie schon bei vielen Touren zuvor sollte sich dieses Nickerchen später den Oscar fürs hervorragende Drehbuch abholen. Ich hab sowas einfach im Urin. Wenn der Kadaver nach Ruhe schreit, soll er sie bekommen. Im Anschluss kannste ja wieder ballern Jan. Macht doch voll Sinn.
Wer nämlich dachte, dass ich mir die neu gewonnene Kraft schön einteilen würde, soll an dieser Stelle weit fehlen und sich meiner Undurchschaubarkeit geschlagen geben. Natürlich trete ich wie ein Besengter in die Pedale und natürlich lässt mir die folgende Asphalt Achterbahn Flügel wachsen. Allerdings habe ich die Rechnung ohne Ikarus gemacht und sollte mich bald im übelsten Matsch und Wurzelwerk wieder finden. Flashbacks nach 2023 blitzen durch meinen Kopf wie die Fotoapparate der Paparazzi, wenn ich endlich mal den scheiß roten Teppich für mein Lebenswerk entlang laufen darf. Ja Kacke! Das Ding war ja auch noch da. Dieser Mücken verseuchte Wurzel Trail, der dir schon beim bloßen Anblick die Klickschuhe auszieht. Im Sommer bloß nicht stehen bleiben. Das hier ist die grüne Hölle. Der Natur gewordene Spießrutenlauf. Halt an und die kleinen Blutsauger zerstechen dich, fahr weiter und jede Wurzel könnte der Grund sein, warum du dich auf die Fresse packst. Ein dreifaches Hoch auf jede Federung, die sich in diesem Moment allerdings als Sparflammenversion ausweist. Denn auch wenn meine Bib und mein Hintern gepolstert sind… hier hilft das alles nichts. Doch wie sagte schon der großartige Ryan Van Duzer nahezu original vom englischen ins deutsche übersetzt: „Kullech, de muß nor wigger strampeln. Jede Pedalumdrehung brengk dich wigger vöran ans Ziel.„
Isso Digga, isso!
Zurück auf der Asphaltstraße treffen uns verstörte Blicke eines Roadies. Geleckt wie ein Aal schießt er an uns vorbei und kann sich wahrscheinlich nicht im Geringsten vorstellen, welches Armageddon wir gerade durchfahren haben.
Wenig später hat Gunnar seinen zweiten Platten, nachdem ihm kurz vor Zarrentin eine zersägte Reifenflanke und der nahezu vollständige Verlust seiner Dichtmilch gezwungen haben auf non-tubeless (Obacht: doppelte Verneinung!) umzusteigen. Um nicht Alle im Gelände warten zu lassen, verabreden wir uns für ein Treffen am Grenzposten Schlagsdorf. Auf dem Weg dorthin überqueren wir noch kurz eine Behelfsbrücke aus losen Baumstämmen. Mein zweiter Moment der Wahrheit für heute, nachdem mir Nils an vorheriger Stelle bereits auf charmante Weise mitteilte, dass ich für die bereits angeknackste Brücke eventuell ein bisschen zu schwer wäre. Denkste! Hat geklappt!

Angekommen in Schlagsdorf gibt es ein schönes Päuschen auf dem von der Sonne aufgewärmten Asphalt. Ich spüre die Müdigkeit in den Knochen und verspreche mir an dieser Stelle bis zum Ende nochmal Alles zu geben. Weit ist es schließlich nicht mehr. Und auf eine Stelle dieser Strecke hatte ich mich schon den ganzen Tag gefreut.
Aber gemach! Wir warten erstmal.
„Gunnar hat Scheiße am Schuh“ wird uns Wartenden mitgeteilt. Dritter Platten. Gunnar ist sauer. Gunnar repariert und flickt, was das Zeug hält (… oder auch nicht!). Gunnar rollt wieder. Die Gruppe vereint sich wieder in Schlagsdorf. Wir strampeln weiter, ich finde mich relativ schnell wieder hinter dem Feld. Nicht weiter schlimm. Die Gruppe bleibt zusammen. Immer wieder wird vorn das Tempo etwas gedrosselt und es sind nicht zuletzt Einzelne Teilnehmer*innen, die die Letzten mit ermutigenden Worten weiter voran treiben. Danke an dieser Stelle besonders an Nils und auch an Felix und Lasse. Auch Daniel, den hier vielleicht ein paar Leute von seinem Youtube Kanal Far.Bike kennen findet sich immer mal wieder an meiner Seite zum flotten Wortwechsel. Allgemein ist die ganze Gruppe schon wieder ein wunderbares Kollektiv. Alle haben Bock, alle viben ähnlich. Manche sind unaufhaltsame Gute-Laune Granaten, denen selbst nach 120km Matsch und Dreck noch das Lächeln breit ins Gesicht gemeißelt steht. In der Gruppe drehen sich erste Gespräche um die Weiterfahrt nach Kiel. Pizzastop in Lübeck und dann die 80km Apshalt nach Kiel nochmal eben abrollen. Ich will nicht sagen, dass ich dafür die Energie nicht auch noch irgendwie aus dem Körper geschöpft hätte… aber als ich die Single Trails über die Wiesen kurz vor Utecht dann endlich schnaufend hinter mir habe ist mir eigentlich nur noch nach Dusche und Bett. Ich rolle an der pausierenden Gruppe vorbei und verschaffe mir ein wenig Vorsprung.
Allein erreiche ich dann mein letztes heutiges Highlight: Die Wildquerung über die A20. Als ich hier in 2023 schonmal stand, konnte ich es irgendwie kaum fassen. Damals überkam mich wieder dieses Feeling à la „Ja man! Hier wärst du nie hingekommen, wenn du nicht mit dem Rad unterwegs gewesen wärst!“. Heute stehe ich hier und schaue glücklich nach vorn. Noch ein paar Kilometer Palinger Heide, bis dann endlich das Holstentor in Lübeck unseren Zieleinlauf markiert. Mittlerweile hat mich die Gruppe schon wieder eingeholt. Ich hefte mich an Felix Hinterrad, kann sein Tempo aber nicht lange mithalten. Nils holt mich ab. 10/10 Punkte ans Betreuer-Team! Macht ihr ganz großartig.
Eine letzte Sammlung der Gruppe an der Hauptstraße in Herrenburg, dann Kette so weit wie möglich rechts und durchziehen. Brandenbaumer, Moltkebrücke… ich sehe mich hier im Juni am Kiosk halten und ein kaltes Alster trinken. Quer durch die Altstadt und dann die Holstenstraße runter. Wie oft bin ich hier schon runter. Wie oft habe ich mir hier den Wind um die Nase wehen lassen. Und heute spielt dieses Feeling vom Schulschluss damals zwar eine Nebenrolle, jedoch bin ich mindestens genau so glücklich! Und als wir dann als Gruppe unter dem Holstentor Bogen stehen und ich mich umschaue, blicke ich nur in breit grinsende Gesichter!
GESCHAFFT!
Danke!


2 Antworten
Ein sehr schön und humorvoll geschriebener Tour-Bericht. Hat Spaß gemacht ihn zu lesen! 👍
Danke dir 🙂 Freut mich immer, wenn der Humor ankommt.